Flächendeckende Produktion von erneuerbaren Energien

Votum Flächendeckende Produktion von erneuerbaren Energien

Motionärsvotum im Grossen Rat, 15. Juni 2022
Motion von Marco Rüegg, Simon Vogel und Elina Müller vom 18. August 2021 (Geschäftsdatenbank).

Bildunterschrift, Marco Rüegg

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Regierungsrat, geschätzte Kolleginnen und Kollegen,

hat bald jedes Gebäude im Thurgau eine Solaranlage? So die Headline in den Medien zu unserem Vorstoss. Unsere Antwort ist klar: unbedingt.

Wir bedanken uns für die Antwort der Regierung zu unserer Motion. Einmal mehr sind wir sehr erfreut, dass die Regierung unser Anliegen teilt. Und einmal mehr sind wir nicht weniger enttäuscht von der Antwort. Enttäuscht von der Haltung «kä Luscht». In der Antwort wurde sogar das Wort Parkflächen falsch interpretiert. Sorry, aber wir möchten logisch keine Grünflächen in Parks mit Panels überdachen, sondern gemeint sind Parkplatzflächen. Die Regierung ist der Auffassung, die bestehenden Massnahmen würden ausreichen. Einzig das kantonale Beratungsangebot soll ausgebaut werden, obwohl es schon genug private Anbieter gibt. Und zudem wissen alle was es zu tun gäbe. Seit über 30 Jahren kennen wir den Energieartikel in der Bundesverfassung, seit 10 Jahren gibt es die gedeckelte Einspeisevergütung. Was hat es gebracht? 6.7% geförderter Strom aus erneuerbaren Energien. Sehr wenig davon aus Wind und kein Strom aus Geothermie. Der geförderte Solarstrom macht gerade mal ein Hundertstel des Stromverbrauchs aus. Meine Damen und Herren, das ist eine sehr ernüchternde Bilanz nach 30 Jahren Energiewende-Politik. Sind wir uns einig, dass wir es so nicht hinkriegen? Das ist aber noch nicht alles. Plötzlich sprechen alle von Strommangel. Und der könnte wie der Klimawandel viel rascher und heftiger kommen als gedacht. Bereits in diesem Winter sind wir von der Exportfähigkeit von Deutschland, Österreich und Italien abhängig. Und wie produzieren die den Strom? Grösstenteils mit Erdgas (Quelle: Elcom). Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gefahr einer Energiekrise ist grösser als sie glauben. Und ich sage es ein weiteres Mal: Strommangel und Blackout stellen ernstzunehmende Gefährdungen für die Thurgauer Bevölkerung dar. Jetzt gibt es Strömungen, welche die Probleme mit Kernenergie lösen wollen.  Die wissen vielleicht nicht, dass wir kein abbauwürdiges Uran haben in der Schweiz, dass in Frankreich derzeit erneut die Hälfte der 56 Reaktoren wegen Wartungen und unerwarteten Problemen stillstehen, dass der Atomreaktor Olkiluoto 3 in Finnland erst 19 Jahre nach Bestellung in Betrieb genommen wurde, und statt 3 Milliarden knapp 9 Milliarden Euro gekostet hat. Mit diesem Geld könnte man 6 Gigawatt Photovoltaik-Leistung installieren mit einer Produktion von 10% des Stromverbrauchs der Schweiz. Bitte verabschieden Sie sich von dem unrealistischen Rettungsanker Kernenergie. Und Erdgas ist auch keine Lösung. Erdgas bringt ebenfalls grosse Abhängigkeiten, hohe Preisrisiken und ist, insbesondere das Frackinggas aus USA, ökologisch eine Katastrophe. Es gibt für uns nur einen Weg die Versorgungssicherheit zu erhöhen: Wir müssen unsere Energie im Thurgau erzeugen. Denn wir alle wollen günstige und stabile Strompreise für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und für die gesellschaftliche Wohlfahrt. Gegenüber 2019 haben sich die Strompreise nämlich bereits verdreifacht. Ich habe mit vielen Industriebetrieben zu tun und kann ihnen sagen, dass einige Unternehmer schlaflose Nächte haben. Die Antwort der Regierung auf unsere Motion ist schizophren. In der zusammenfassenden Beurteilung erachtet der Regierungsrat eine staatliche Intervention für unnötig, da die Nachfrage nach Photovoltaikanlagen hoch sei. In der inhaltlichen Beurteilung meint aber die Regierung, dass ein Zubau nur durch eine gesetzliche Verpflichtung möglich sei. Und er liefert dann postwendend Einwände, warum so eine Verpflichtung nicht willkommen ist. Nur, wir haben bereits eine Verpflichtung. Die viel zitierte «Photovoltaikpflicht» ist bereits aktiv. Über die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich. Wenn man wollte, könnte man also die bestehende Regulierung leicht anpassen. In Deutschland, wo bereits 10% des Stroms mit Photovoltaikanlagen produziert wird, kennt man in 9 von 16 Bundesländern eine Photovoltaikpflicht. Wir sind enttäuscht, dass unsere Regierung die Gesetze in Deutschland nicht genauer untersucht und für den Thurgau adaptiert hat. Weitere Infos unter dem Link: https://www.energie-experten.org/erneuerbare-energien/solarenergie/solaranlage/solardachpflicht#c43898 Aber auch in der Ostschweiz geht es vorwärts. In Appenzell Ausserrhoden hat das Parlament Ende März mit 58 zu 2 Stimmen dem neuen Energiegesetz zugestimmt. Bis 2035 sollen mindestens 40% des im Kanton verbrauchten Stromes im Kanton selbst aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Alle politischen Parteien stehen hinter der Vorlage. Kein kantonaler Verband hat das Referendum ergriffen, auch nicht der Hauseigentümerverband. Die Lobbyorganisation Swissoil Ost hat vermutlich das Referendum zustande gebracht. Der Präsident von Swissoil Ost ist Jürg Rufer, der Gossauer Öl-Lieferant mit einem lachenden Ölscheich und einem tropfenden Zapfhahn als Maskottchen. Reine Verzögerungstaktik, um nochmals möglichst viel Gas und Öl verkaufen zu können, meint Kommissionspräsident und FDP-Kantonsrat Matthias Tischhauser. Für die FDP Appenzell Ausserrhoden ist nichts tun übrigens keine Option. Geschätzte Anwesende. Auch die Schweizer Bevölkerung will viel mehr Tempo beim Solarausbau. Das ergab eine Umfrage der Schweizerischen Energie-Stiftung. Drei Viertel sagen Ja zu einer Photovoltaikpflicht auf bestehenden Gebäuden. Auch der VSE hat die Bedürfnisse der Bevölkerung erhoben: Die Stromversorgungssicherheit steht klar an erster Stelle. Die Mehrheit ist sogar bereit, für eine sichere Stromversorgung höhere Kosten zu akzeptieren. Fossile Energien und neue Kernkraftwerke finden hingegen keine Mehrheiten.

Die Lösungen für weniger Abhängigkeit und mehr Sicherheit sind da. Ein Drittel der Dachflächen reichen aus, um den gesamten Strombedarf im Thurgau mit Solarstrom abzudecken. Natürlich braucht es Speicher und Wasserstoff, natürlich braucht es Wasserkraft, Wind, Biomasse und Geothermie. Es braucht alles – sofort! Das geht in hohem Tempo nur mit griffigen gesetzlichen Grundlagen. Man könnte zum Beispiel ein liberales Quotenmodell ausarbeiten, das gemäss Avenir Suisse, und auch aus meiner persönlichen Erfahrung, entscheidende Vorteile hat und in Skandinavien erfolgreich gelebt wird. Ich wünsche mir, dass bald auf jedem neuen Gebäude und später auch auf allen geeigneten Flächen erneuerbare Energie produziert wird. Und wir mit den Überschüssen unsere Elektrofahrzeuge laden können. Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, angesichts der unmittelbaren Bedrohung unserer Energieversorgung können wir doch nicht einfach weiter machen wie bisher und nichts tun.

Wir Vorstösser bitten Sie die Motion für erheblich zu erklären.

Marco Rüegg, 15.06.2022

Links

Tags

SP, Simon Vogel, Grüne, Elina Müller, Winterstrom, Blackout, Elektrizität, Energiekonzept, Energiestrategie, erneuerbar, GLP, Klimaschutz, Motion, Photovoltaikpflicht, Stromlücke, Strommangel, Versorgungssicherheit, Stromversorgung

Teilen